KREATIVE KRAFT AUS DEM SCHWEIGEN ebook

Vor einigen Monaten, näherhin am 5. Juni 2013, jährte sich zum 125. Male der Geburtstag von Max Picard; am 3. Oktober 2015 werden es fünfzig Jahre, dass er verstarb2. Der studierte Arzt entfaltete seine Kreativität nicht auf dem Fachgebiet seines Berufes im engeren Sinne; er war vor allem ein origineller Denker und Buchautor, der in seinen Schriften weisheitliche Betrachtungen zu Zeitfragen und zu abgelegenen bzw. vergessenen Themen anstellte3. Unter seinen Publikationen sticht vor allem „Die Welt des Schweigens“4 hervor, ein Werk, das im Jahre 1948 erstveröffentlicht wurde und das in vielerlei Hinsicht die Reife tiefschürfender Überlegungen hervortreten lässt.
    Gewiss muss diese Schrift zunächst als zeitgeschichtliche Reaktion auf die schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs angesehen werden: Angesichts des erlebten Übermaßes an Grauen kann sich global nur eine fassungslose Stille ausbreiten5. Die Angemessenheit des Schweigens wird von Picard dann jedoch auf die unterschiedlichsten Situationen hin gewendet und in ihrer umfangreichen Bedeutung entfaltet. Bei weitem geht es dem sensiblen Mediziner nicht nur um den therapeutischen Wert der Stille6. Schweigen hat generell Sinn. Schweigen birgt in sich Sinn und stiftet ihn7. Im Schweigen liegt ein Potential, das leider allzu häufig übergangen wird.
    Die vorliegenden Ausführungen wagen den Versuch, eine bescheidene Skizze für eine (theologische) Lehre vom Schweigen zu entwerfen. Es geht zunächst darum, gezielt anthropologische Beobachtungen zusammenzustellen und herausragende Orte des Schweigens im Kontext menschlichen Daseins aufzusuchen; ein besonderes Augenmerk gilt in diesem Zusammenhang auftretenden Fehlformen, welche Qualität und Niveau des Lebens nicht selten ungut, ja bösartig verkehren. Danach sollen einige systematische Wendungen erfolgen, welche den zentralen Begriff in seiner Aussagekraft über die göttliche Wirklichkeit zur Anschauung bringen. Abschließend werden die spekulativen Grundlogiken des Schweigens in ihrer formalen wie inhaltlichen Relevanz zusammenfassend herausgeschält und konkret in den Rahmen einer Festkultur gestellt, welche um die Notwendigkeit bereichernd neuschöpferischer Ruhe weiß. Insgesamt weiß sich der anstehende Gang der Überlegungen einem phänomenologisch beschreibenden Ausschreiten verpflichtet, das besonders die existentielle Relevanz des Themas hervortreten lassen möchte.